Unser Besuch bei der Firma Orgelbau Jehmlich

Bereits lange bedacht und seit April diesen Jahres ernsthaft geplant war es nun heute soweit: 44 Zeitzer Orgelinteressierte und ein Hund trafen sich am bestellten Reisebus und wir wurden in großer Gelassenheit in Dresden – Großenhainer Straße pünktlich vor der bereits geöffneten Tür abgesetzt. Es folgte ein herzlicher Empfang durch den derzeitigen Firmenchef Ralf Jehmlich und seines Meisters Michael Kronesser, die uns im Obergeschoss zu einem als Vortragssaal ausgestatteten großen Raum leiteten. Hier wurde erfrischendes Wasser gereicht. Der Raum war mit einer Reihe von Orgelmodellen und Schautafeln angefüllt. Wussten Sie, dass die komplette Fertigung eines solchen Modelles nach den Vorgaben der Kommission Teil der Gesellenprüfung in Markneukirchen ist? Hier jedenfalls helfen sie uns sehr beim Verständnis von Funktion und Individualität. Doch dazu später.

Hier erhielten wir in hervorragender Weise und wie selbstverständlich aus dem Leben erzählt  inhaltsreich die Geschichte des Orgelbau, die Geschichte der Orgelbaufirma nun in der 6. Generation der Familie mit ihren prägnanten Höhen und Tiefen, die Funktionsweise der Orgel im Vergleich zu der Funktion des menschlichen Körpers und die Möglichkeiten des Orgelbauhandwerkes erklärt. Aber der Reihe nach:

Zur Entwicklung des Instrumentes Orgel:

Ca. 700 v. Chr.   Entdeckung der Panflöte und des Zusammenhanges von Länge einer Röhre und der Tonhöhe

Ca. 500 v. Chr.   Sheng (genauer Pinying sheng 笙) = zufällig oder nicht wurde in China die „Mundorgel“ als Durchschlagszungeninstrument als Vorläufer der Harmonikainstrumente erfunden.

Ca. 300 v. Chr.   taucht in Europa der Dudelsack als Musikinstrument (wieder) auf. Die „Sackpfeife“ wurde ca. vor 2500 Jahre früher wohl bereits als Hirtenflöte im Orient verwendet und kam nur ganz zögerlich von Babylon über Ägypten, Griechenland und Rom über die Alpen. Hier wird mit dem Mund/Atem ein Luftsack gefüllt. Diese Luft dient der Melodieerzeugung (Finger über flötenartige Pfeifen, wobei die Bordunpfeifen dazu ständig mitklingen. Ein Register „Bordun“ finden wir in der Aufstellung des W. Rühlmann in der Disposition (Register 2) „unserer“ Orgel von 1911 wieder. In etwa gleicher Zeit er-fanden die Griechen die Grundlagen für den Bau der Hydraulis (Wasserorgel)

757 nach Chr.    schließlich gelangte „die Orgel“ als königliches Geschenk von Ostrom zu Pippin dem Jüngeren/ Königlicher Hausmeier aus dem Geschlechte der Karolinger (Vater Karls des Großen) und begann seine Laufbahn in der Kirchenmusik bis zur ersten Blüte im Barock

In Deutschland entwickelten sich in Norddeutschland und darüber hinaus gen Norden federführend durch Arp Schnittger (Hamburger Prospekt) sowie im mitteldeutschen (Gottfried Silbermann – Sachsen/französisch-elsässische Stilelemente) und süddeutschen Raum mit besonderer Vielfalt an 8`Registern verschiedene Strömungen mit verschiedenen Klangvorstellungen im Orgelbau.

Firmengeschichte

  1. Gründung durch die „hochsonderlich begabten Brüder aus dem erzgebirgischen Cämmerswalde Gotthelf Friedrich, Johann Gotthold und Carl Gottlieb Jehmlich mit (nach den Wanderjahren wegen Montagearbeit) Eintrag in das Grundregister 1808…. „welche ein eminentes Talent auszeichnet. Sie liefern, ohne eigentlichen Unterricht genossen zu haben, Flügel mit Flötenwerken in besondrer Güte, Instrumente und Maschinen von aller Art …“ (August Schumann: Vollständiges Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen)
  1. Blieb im Prinzip dem Schleifladenprinzip treu und wurde gelobt für seine sorgfältige handwerkliche Arbeit sowie seine fein ausgeglichene Intonation. Dennoch war er offen für die Neuentwicklungen seiner Zeit – die Pneumatik – und knüpfte entsprechend Kontakte z.B. zum Orgelbau Ernst Seifert Köln, welcher als der Erfinder der Membranlade gilt.
  1. Die Gebrüder Bruno & Emil erlangten das Werkstattgebäude mit festem Sitz in Dresden 1897 wie es heute noch hier zu finden ist. Hier fertigten sie in der Weise der Manufaktur große Orgeln wie die Konzertorgel mit symphonischem Klang für das Vereinshaus DD (54 Register) und die Wagner-/Holland-Orgel für die Kreuzkirche (67 Register, 1897 abgebrannt) – neu errichtet als pneumatische Orgel 1901 mit 91 Registern. Nach dem kriegsbedingten Einbruch 1914 – 1918 entstanden weitere 150 kleinere Orgeln und es wurde mit dem Export vornehmlich nach Schweden begonnen.
  1. Otto & Rudolf Jehmlich übernahmen 1938 die Werkstatt und den großen Umbau der Silbermann-Orgel der Frauenkirche. In den Kriegsjahren kam es zum massiven Einbruch von Aufträgen und auch der Mitarbeiter, die an die Front gerufen wurden. Der Orgelbau in Dresden belebte sich wieder, wenngleich nicht in der Weise wie vor dem Kriege. Der Export in vornehmlich die skandinavischen Länder wurde zum festen Standbein. Besondere Sorgfalt galt der Betreuung und Restaurierung wertvoller, vorhandener Instrumente und deren Pflege. Immer wieder besann man sich dabei auf den klassischen Orgelbau und den Klang beispielhaft eines Gottfried Silbermann.
  1. Horst Jehmlich hatte die Verstaatlichung des Betriebes 1972 in der DDR zu bewältigen. Er gestaltete dennoch die Firmenleitung autark und fand mit den Komplementärproduktionen der Sarg- und Munitionsfabriken nichts an Gemeinsamkeiten. Neben den Partnerländern Ungarn, CSSR, Bulgarien gelangen Geschäfte auch ins westliche Ausland bis nach Übersee und Japan. Alles jedoch musste aus dem Jahreskontingent der staatlichen Vorgaben für Material bestritten werden. Die Materialbeschaffung an sich war äußerst schwierig, was zu Wartezeiten bis zu 13 Jahren führte – vergleichbar der Beschaffung eines Automobil Marke Trabant. An Aufträgen an sich hat es in dieser Zeit niemals gemangelt.
  1. Ralf Jehmlich in 6. Generation nun endlich ist seit 2006 Geschäftsführer und steht leibhaftig vor uns und spricht. Auch er kann auf bedeutende Restaurierungen in aller Welt stolz zurückblicken und zeichnet sich doch durch Bescheidenheit aus. Heute geht es in der Firma um ein Ringen um Aufträge. Dabei scheinen die Materialien ständig verfügbar, ihre natürliche, „gewachsene“ jedoch nicht. Es beginnt mit dem Schlagen der Bäume für das Holz auch im Sommer, wenn diese in ihrem Saft stehen. Die industriell gegerbten Lede, denn z.B. Schuhe insbesondere für Damen müssen ja nur noch eine Saison halten, dann sollen neue Moden gekauft werden. Die industriell gefertigten Metalle sind zu rein und entsprechen damit nicht mehr den Anforderungen für Ton und Klang: hier muss umgegossen werden, um mit allerhand „Dreck“ wie Blei, Arsen, … u.v.a.m. der optimale Verschmutzungsgrad zu erreichen. Der Umweltforderungen gemäß sollen vorzüglich einheimische Hölzer verwendet werden, doch Tanne wächst langsam und ist in den Wäldern in der Aufbauphase, Fichte geht derzeit zunehmend ein und unterliegt gern dem Holzwurmfraß, die tanninreiche Eiche ist ebenfalls selten – vor allem in den geforderten astfreien und homogenen Strukturen. (https://de.wikipedia.org-jehmlich-orgelbau-dresden zuletzt besucht 07.09.2024 23:40)

 

Aufbau und Funktion der Orgel im Prinzip:

Im Wort steckt das Wort „Organ“ (engl.), welches eine Verbindung zum menschlichen Organis-                                        mus erahnen lässt. … und schon steht Herr Jehmlich an einem der (mechanischen) Modelle und erläutert den „Menschen Orgel“:

Hier finden wir die Analoga:

  1. Herz und Hirn = Spieltisch
  2. Nerven = Traktur
  3. Muskeln = Windladen
  4. Mund/Stimme = Pfeifen
  5. Lunge = Balg/Windanlage
  6. Verdauung/Stoffwechsel = Generator/Calcanten
  7. Skelett = Gerüstwerk (Eiche gut, weil schlecht für Holzwurm) – auch Stahlbauskelette mit Gummipuffern – in Erdbebengebieten J

Verwendete Materialien sehr variabel: Holz, Knochen (z.B. vom argentinischen Rind – sehr ebenmäßiges Wachstum für homogene Struktur), Elfenbein als natürliche Materialien für den Belag der Tasten wegen der hygroskopischen Eigenschaften. An Kunststoffen schlägt sich Wasser nieder und der Spieler empfindet Kälte – rutscht damit leichter ab.

Die Gestaltung der Sichtfront des Instrumentes (Prospekt) und der Steuerung:

Im Barock ist das Prospekt gern als „Schleierwerk“ ausgearbeitet. Die Treppung der Pfeifen wird durch Schnitzwerk in die Symmetrie gebracht und überdeckt. Mit dem Einfluss der Romantik treten die Verzierungen deutlich zurück. Die Gestaltung erfolgt über die Pfeifentreppung (Pfeifenlänge = Tonhöhe) an sich.

Barock bedeutet technisch, dass die mechanische Übertragung zwischen Taste und Pfeife (Traktur) durch Leisten, Rollen, Registerzuganlagen (je mehr Register/Koppeln zugeschalten, umso schwerer lassen sich die Tasten herunterdrücken) erfolgt. Die Romantik zeichnet sich durch die Erfindung der pneumatischen Übertragungswege aus: Das Ventil am Tastenende gibt den Luftimpuls für Ledermembranen (Kissen) und führt zur Kegelöffnung, dass der angesteuerte Ton der entsprechenden Pfeife erklingen kann. Jetzt werden auch größere Orgeln zu bauen möglich, weil alle Pfeifen auf einem Windkanal akkordisches Spielen gelingen lassen. Auch erlaubt dies einen größeren Abstand vom Spieler zur tonklingenden Pfeife. Das dabei neu entstandene Problem ist eine Verzögerung von Tastendruck und Pfeifenansprache (je tiefer der Ton/größer die Pfeife umso länger ist der Zeitverzug). Auch andere Einflussgrößen lassen Alterung und Krankheiten des Instrumentes entstehen wie:

  • Holzwurm – bei Löchern in den Lustwegen insbesondere der Ventile/Taschen werden ohne Tastendruck de Pfeifen angeblasen = Heuler
  • Raumheizungen – Feuchtigkeitsschwankungen im Raum
  • Aufreißen von Holzpfeifen und Windladen durch die extrem trockenen Sommer der letzten Jahre

Die elektromagnetische Steuerung der Neuzeit: der Zeitverzug in dieser Steuertechnik ist für das menschliche Empfinden unmerklich gering. Dieses bietet sehr viele Möglichkeiten für Aufnahmetechniken im unterrichtlichen Gebrauch, für Überlagerungstechniken EINES Spielers, 4-händige/4-füßige Stücke in der Einspielung allein zu gestalten, das Ansteuern externer Tongeber, automatische Notendrucke nach Improvisationen und Konzerten…(Beispiel „Universitätsorgel“ Leipzig – MIDI-System). Die Nachteile liegen in der heutigen Zeit auf der Hand: Reparaturen sind ganz schlecht möglich. Elektronische Bauteile müssen allerorten ganz ausgetauscht oder das Gerät komplett neu ersetzt werden.

…und hierin lag die Entscheidung von GKR und der Gemeinde Zeitz (Symposium 2022):

  1. Orgelbauer > Rückführung auf das Böhme-Konzept (1826 – mechanisch-barock)
  2. Rein elektrisch angesteuert
  3. Romantisch unter Erhalt der Altsubstanz (wovon noch vieles gut erhalten ist – einschließlich der kompletten Dispositionsunterlagen des W. Rühlmann)

Das Ziel ist die Restaurierung und Rekonstruktion der romantischen Klangvielfalt (+) parallel der flexiblen Nutzung durch einen neuen, elektrisch ansteuerbaren (fahrbaren) Spieltisch.

Werkstattrundgang:

Hierzu wurde unsere 44-köpfige Busgesellschaft + ein Hund in zwei Gruppen geteilt und uns die nötigen Gewerke entsprechend der Werkstatträume demonstriert:

  1. Tischler- und Holzwerkstatt
  2. Gießerei und Metallbau (Pfeifen)
  3. Windladenbau (Arbeit mit Warmleim – Glutinleim und Vor- und Nachteile)
  4. Holzwerkstatt „Restaurierung“ (Reinigung, Aufarbeitung)

Im Ganzen bedarf die Lehre zu einem Orgelbauer bereits das grundlegende Vermögen zum Orgel-/Klavierspiel, einem Sinn für sehr akkurates Arbeiten und Lust auf Vielseitigkeit. Es ist grundlegend eine schwere auch körperliche Arbeit (Lasten) und viel auch geistiger Flexibilität in den Bereichen „Holz“, „Metall“, „Gehör für Stimmung und Intonation“, „elektrische Hilfen“. Das letzte Wort nach Aufstellung einer Orgel im vorgesehenen Raum hat immer der Intonateur. Dieser ist als Mensch entscheidend für die Ausstrahlung eines Instrumentes und durch keine Technik oder KI zu ersetzen. Hier geht es um das menschlich wissende Empfinden.

Der Beruf bzw. die Berufung „Orgelbauer“ ist ein Reise- und Montageberuf, wenngleich die Zuarbeit sehr gut durch die Werkstatt erfolgen kann und muss. Die Konstruktion bleibt den Meistern und erfordert sehr viel Wissen, Umsicht und Augenmaß für jedes individuelle Instrument und seinen Standort. Eine industrielle Serienproduktion ist nur in kleinem Umfang möglich und nie Auftrag des Handwerkes eines restaurationsliebenden Handwerksbetriebes wie der Fa. Jehmlich mit ihrem Anspruch, jedes Instrument als „eigene Persönlichkeit“ zu betrachten.

Derzeit wirkt die Firma mit 11 Mitarbeitern und 2 Lehrlingen, welche deutschlandweit in Ludwigsburg Unterricht erhalten. Auch hier spiegelt sich das schwer lastende Gesellschaftsproblem von Arbeitskräftemangel und Nachwuchssorgen, denn die Motivation gestaltet sich sehr schwierig. Spannend ist dieser Beruf und umfangreich allemal! Neubauforderungen sind in den Auftragslisten sehr selten, doch bedarf es einer großen Serviceleistung und Restaurationsarbeit, die nicht minder spannend sind. Die Nachhaltigkeit und Werterhaltung der Leistungen unserer Vorfahren sind ein lohnenswertes Ziel.

Fazit: Jede Orgel hat ihre eigene Persönlichkeit. Jeder Mensch mit seinem Hörvermögen und Höranspruch hat dieses ebenfalls. … und was soll ein Orgelbauer dazwischen nun machen?

Mit dieser Frage entlassen waren unsere Gehirne überfordert-leer und unsere Einstellung zum bestellten Mittagstisch sehr positiv. Dabei und in der folgenden Freizeit konnten wir unseren Gedanken nachhängen und uns in kleinen Gruppen zum Erlebten gegenseitig austauschen. Das war bei dieser Fülle wohltuend und sorgt für Nachhaltigkeit. Gut, dass am morgigen Tag des offenen Denkmals sich Gelegenheiten bieten, in den Orgelführungen unsere Kantorin Johanna Schulze Fragen stellen zu können, alles nochmal leibhaftig und speziell an unserer Orgel erfahren zu dürfen und gut auch, dass diese unsere alte Dame immer noch spielbar ist! Fassen wir uns in Geduld und freuen wir uns auf ein Erstarken in der Erneuerung dieses Schatzes bei uns! Herzlichen Dank für diese Fahrt und alle, die für unser Wohl gesorgt haben. Ein ganz besonderer Dank gilt Ralf Jehmlich uns seinem Meister Michael Kronesser für die Bereicherung unseres Wissens und unserer Erfahrung dazu.

Susanne Salzmann

08.09.2024